Lyrik


Zwei Ewigkeiten in drei

Wie also sollen wir
im Triangel steh`n
in der Ecke
zum schämen?

Wir steh`n im Eck
von Vater, Sohn
und heiliger Geist.
So also steh`n wir
in der Triangel Ecke
zum schämen.

Das rechte Bein
schämt den Vater,
das linke dann
langsam den Sohn,
dann wieder zurück
auf den Vater,
dann wieder vor
auf den Sohn.

So steh`n wir ewig
in dieser Ecke
und sehn an der Kante empor.

„Schluss!“ – eine Stimme.
Wir dreh`n uns
steif um, kommen
beklommen
aus dieser Schames-Ecke hervor.

Die Stimme des Lehrers -
das ist die Kante! der heilige
Geist – das 3. Bein
im Gewirr!

Wir, voller Scham,
hatten nur zwei –
am Ende aus Not
vielleicht vier.

Frauke Tomczak  2011


 Kinderspiel mit Holder

Wieviel Schritte gibst du mir,
Holder?
Du bist nicht
mein Mütterchen.
Nicht du hast zu bestimmen,
wie viele Schritte
und zu welchem Ziel.

Holder – wie weit
bist du gesprungen?
Bist du vielleicht auf einem Bein gehüpft?

Ich jedenfalls
kann, will nicht mehr hinkeln,
nicht weiter stehn auf einem Bein!

Lass Flamingos kommen
und gehen
Lass Leoparden würfeln
auf einem, hochgestellten Bein! im Schnee!
Lass Lassos laut vor
lauter Liebe Lilienblüten läuten,
lass Adler aufgangs
in der Sonne stehn,
lass Igeln immer
ihren „guten Tag“
und Hasen Jäger schießen!

Holder,
die ganze Schöpfung
kriegen wir hier
nicht mehr rein.

Nimm du dein Tabaksäckchen,
ja, ja, ich mach das schon.

Holder, verzeih
mein schnelles Jenseits,
mein 1,2,3 in dieser Fahnenflucht…

Das ganze ist ein schönes
Kinderspiel mit reisen
und wieweit mit Ziel.
Je weiter umso näher –
mit Mütterchen
im Spiel!

Mütterchen, ach Mütterchen!
wie viele Schritte?
ja ja wie viel …

Holder,
wir wissens – besser
will ich gar nicht sagen –
wir wissen aber auch:
ein Hinkelstein
ist wunderbar!
doch eben dieser Hinkelstein
schreibt alles andre,
als die gerade Linie,
gehinkelt auf dem Weg
zu seinem Ziel.

Frauke Tomczak  2011      



Rhein-Knie-Fall

anlässlich einer Ausstellung
„Ansichten des Rheins“, Uni-Bibliothek Düsseldorf

Fall in den Rhein
jeden morgen.

Den giftigen Becher
bringt mir jeden Morgen
mein Freund, der Taucher
vom Grund.

Ein Gruß
von Kaisers
Stuhl zur Vernissage
Honores und kichernde Tröpfchen
vor düsterner Schwernis
in Kreide, in Kupfer –
der Strom und wieder der Strom,
uns Deutschvater all.

Und sängen dann alle
Männerchor, faustisch,
vor welligwarmwogend Undinen,
Wehmut in Auge und Brust
„bedeuten, bedeuten, bedeuten ...“
die Loreley
ohne Verfasser.

Fall in den Rhein,
jeden Morgen bringt
mir mein Taucher
den Gifttrank vom Grund.

Ich schüttle mich kurz
vor den romantischen Weiden,
dem Burgpech und Schwefel
wünsch Erdbeben zu Chili
und geh vorbei
an dieser Stellung, Bilderausstellung
„Ansichten des Rheins“,
geh und suche
in meinen Büchern ...

Hast du
den Vater Rhein
in seinem Bett gesehen?
o indiscretio
du occulus damnatus.
da wälzt sich nackt
bis auf die Stiefel
ein fetter General.
Und mitten in nebelnden Wiesen
grasen Walküren
mit fetten Ärschen
und wiederkäuen im Takt.

Ein Strom ist ein Strom ist ein Strom
und kann nicht dafür, nicht dawider -
ein schwermütiges Opfer,
das fließt.

Fänd ich
die sitzengebliebene Brücke,
mein Taucher,
so wie ich
ein Delta verschwimmend im Himmel
von oben, vom Flugzeug
den Strom einmal sah –
mein Taucher, mein Taucher,
lass ab.

So wie die mythischen Namen der Schiffe
Persephone trifft Dulcinea
vor Kaiserswerth
die lachen, die lachen laut auf
vor dem Ruinengerümpel –
so lieb ich den Rhein.


Pan

Der große Mittag des Südens
stellt Zeit
fest.

Als wäre Bewegung von Sinnen
im Sonnenzenit
kreuzt hier und dort
nur die summende Linie eines Insekts
den geräuschlosen Raum.

Der Abstand
von einem Motorengeräusch
zum nächsten
wird größer, unendlich
... als stellte sich Lebendes tot......
Felsen und Bäume,
schattenlos und gebannt,
im ausgeleuchteten Warten.

Das ist
die Stunde des Pan
und wer damals rief
„Er ist tot!“
hat diese Stunde vergessen.

Vergessen die harrende Stille der Dinge
fremder und
wie eingezogen die Seele nach innen.

Da sinnt nichts nach –
nur die Libellen
fliegen flimmernd
vom Ast in der schattigen Kühle
zum Stein
und öffnen und schließen
die blauen seidigen Flügel.
Nichts träumt hier Erinnerung -
es ist alles da
im blendweißen Licht
der verstummten, der untätigen Zeit.
Denn Mittag ist
mitten am Tag und Zenit
der Reglosigkeit unter der schlagenden Hitze,
die Kirchturmglocken verstummt.

Dauer des Zählens nicht wert,
noch ihm gefügig,
atmet unmerklich
die magische Stunde
über Lebendigem aus.

Als fiele das gleißende Licht
ungebrochen auf Gottes eigenen Scheitel
und wie geblendet
fliehe dieser, wiche in panischer Hast
dem Anderen,
dem sie gehört.

Das ist sie,
die große Stille
im langen Mittag des Südens:
mitten am Tag
lichthell und nackt
harrt angespanntestes Nichts.

Frauke Tomczak  1988